Predigt zu Hiob 19, 19-27 (Judika)
Können Sie sich noch an Hiob erinnern? Den großen Leidenden des Alten Testaments?
Er muss wahrhaft Schlimmes hinnehmen: Kinder tot, Vermögen verloren, Frau weg - sein Leben ein einziges schmerzhaftes Chaos.
Und alles wegen einer Wette - Gott wettet gegen den Teufel - auf Hiob.
Und der ist das Opfer der ersten Verschwörungstheorie der Weltgeschichte.
Sein Leiden füllt Bände:
Text lesen Ve 19-24
Sein Leiden ist Literatur - aber immer noch Teil unserer Welt.
Hiob lebt - er ist der Gastwirt, der droht, sein Hotel zu verlieren.
Der Einzelhändler, dem die Insolvenz bevorsteht.
Der Künstler, der nicht auftreten darf.
Gemeinsam mit ihnen sitzt er auf dem Scherbenhaufen ihrer Existenz und hofft auf Erlösung.
Hiob kann noch hoffen - andere haben jede Hoffnung verloren.
„Ich kriege keine Luft mehr“ - diese Worte hört der „Welt“-Journalist Thomas Bohn am Abend von einer befreundeten Schauspielerin angesichts der Auftrittsverbote, der fehlenden Jobmöglichkeiten, der wieder einmal verschärften Corona-Regeln. Ein paar Tage später hört er von ihrem Tod. Sie hat sich umgebracht - der neue Lockdown hat ihr die Luft zum Atmen genommen.
Vielen von uns wird die Luft knapp - wir hoffen bis zum letzten Atemzug.
Die Erlöser unserer Zeit heißen Spahn und Co., ihre Mittel sind Digitalisierung und Impfung. Doch die Erlösung lässt auf sich warten. Ihr Konzept hat seine Tücken, wird ausgebremst und hat einen schalen Beigeschmack.
Der letzte Impfstopp gefährdet deutlich mehr Menschen als die Fortsetzung der Impfung es getan hätte. Die Tücken der Digitalsierung offenbaren die Schwachstellen einer Gesellschaft, die nur noch auf künstliche Intelligenz vertraut. Fast hofft man auf die Existenz einer weiteren Verschwörungswette, dann wäre das ganze Elend wenigstens noch erklärlich.
Von Erlösung weit und breit keine Spur.
Stattdessen ruft Jan Fleischhauer in seiner Focus-Kolumne vom letzten Wochenende zum zivilen Ungehorsam auf. Öffnen statt alternativlos alles zu schließen - Erlösung durch Eigenverantwortung.
Ich finde, in der Sache hat er recht: theologisch aber bringt mich das gerade nicht weiter.
Früher einmal war der Erlöser der strahlende Held der Geschichte. Filme und Bücher strotzten nur so von diesen hehren Gestalten, die als alleswissender Detektiv den Übeltäter entlarven, ihn seiner gerechten Strafe zuführen und dafür sorgen, dass die Welt wieder in Ordnung kommt.
Doch aus diesen Strahle-Figuren, die sich wie der Phönix aus der Asche aus dem Sumpf menschlichen Elends erheben, sind Tatort-Kommissare wie Bukow, König und Faber geworden. Gebrochene Gestalten, die ihr eigenes Elend wie ein Banner vor sich hertragen und an ihrem eigenen Kreuz so schwer tragen, dass sie keine Kraft haben, das der anderen auch nur anzuheben.
Statt Hiob seine Erlösung zu bringen, sind die Erlöser selbst zu Hiob geworden und sitzen auf dem Scherbenhaufen ihres Lebens fest.
Ganz wie die Erlösungsphantasien unseres Staates übrigens:
Erlösung von Krankheit und Tod durch Lockdown? - Auf den Scherben steht Paternalismus und Bevormundung und wir sitzen auf ihrem Haufen aus seelisch Toten und wirtschaftlichem Sterben.
Erlösung aus dem Lockdown durch Testen und Impfen? - Die Scherben liegen offen vor uns, ihr Haufen wächst täglich.
Da möchte man wie Hiob zum Himmel schreien und auf dem Scherbenhaufen der eigenen Verzweiflung verharren.
Und vergisst dabei, dass der Text noch weitergeht - die Geschichte nicht zu Ende ist:
Text lesen Ve 25-27
In Hiob vollzieht sich ein Bruch. Auf die Fragen nach dem Warum? antwortet er mit seiner Hoffnung. Das Leiden selbst ist nicht erklärbar.
Und es hat auch keinen Sinn.
Keine Maßnahme kann es beenden oder erklären oder erträglich machen.
Damit trifft er genau den Kern unserer Zeit.
Was im Sinn von Infektionsschutz und Gesundheitsfürsorge virologisch-epidemologisch gut und sinnvoll war, führt in der Praxis zu Vereinsamung und Hoffnungslosigkeit.
Alle unsere Maßnahmen, Einschränkungen, Verbote sollen helfen, das Leiden einzuordnen, es messbar, fassbar und kontrollierbar zu machen. Aber all das führt nur in neues, anderes Leid hinein - und jede vermeintliche Kontrolle ad absurdum.
Die Jünger, die Jesus beteuern, sie könnten sein Leid ebenso ertragen wie er, unterliegen genau diesem Irrtum. Sie versuchen, das Leid zu messen, logisch einzuordnen, abzuwägen, auszurechnen - um es dann abhaken zu können.
Aber so funktioniert das nicht. Nicht mit dem Leid - und nicht mit Gott. Denn auch Gott lässt sich nicht ausrechnen.
Niemand hat mit so einem Erlöser rechnen können - einem, der sich einlässt auf das Leiden. Der es nicht abschüttelt, sondern sich ihm unterwirft. Der stürzt unter seinem Leidensdruck, und Hilfe von anderen braucht, um wieder aufzustehen.
Und doch rechnen wir ja mit diesem Erlöser. Wir hoffen genau auf ihn - genau darauf, dass er weiß, was es heißt zu leiden. Wir hoffen auf jemanden, der weiß, was es heißt, um sein Leben, seine Existenz zu bangen. Wir hoffen auf jemanden, der weiß, wie sich Einsamkeit und Verzweiflung anfühlen.
Wir hoffen, dass da mit Jesus Christus einer ist, der mit uns sein Leid hinausschreit. Dass alle Welt - dass Gott selbst es hören kann.
Dann das ist alles, was bleibt: das Leid hinauszuschreien. Es öffentlich zu machen, es nicht hinter verschlossenen Türen zu vergessen oder auf leeren Theaterbühnen zum Schweigen zu bringen.
Ein jüdisches Sprichwort lautet: Das Geheimnis der Erlösung ist die Erinnerung.
Also übernehmen wir Verantwortung - und öffnen uns.
Dem Leiden. Unserem und dem der anderen.
Lassen uns nicht ruhigstellen, nicht beschwichtigen und nicht vertrösten.
Sondern erinnern das Leiden, laut und stetig.
Protestieren dagegen, in Wort und Tat - weil es ein Skandal ist, der zum Himmel schreit.
Das ist alles, was bleibt - mit Gott gegen Gott und das Leid ankämpfen. Und damit zugleich um Christus, um Gott in unserem Leben zu kämpfen.
Darum, dass er uns mitten im Leiden nicht alleine lässt. Sondern uns seine Stimme leiht, seine Hoffnung schenkt.
Und seine Kraft und sein Vertrauen gibt, dass unser Erlöser lebt.
Amen.