1. Sonntag nach Epiphanias - 10. Januar 2021

Predigt zu Eph 3, 1-7

„Das Geheimnis des Agitators ist, sich so dumm zu machen, wie seine Zuhörer sind, damit sie glauben, sie seien so gescheit wie er.“ - so formuliert das der Schriftsteller Karl Kraus.

Schade, dass dieses Geheimnis keinen Eingang gefunden hat in die Verschwörungstheorien unserer Zeit - vielleicht wären uns sonst einige Demonstrationen und den Amerikanern eine Nacht der Unruhen erspart geblieben.

Stattdessen glauben viele, sie seien Enthüllungen auf der Spur, die die Geheimniskrämerei von Obrigkeiten und Regierungen offenlegen.

Geheimnisse gibt es immer und überall - Weihnachten ist eine Zeit voller Geheimnisse, zumindest bei uns heute. Aus dem ersten Weihnachten dagegen wird kein Geheimnis gemacht, im Gegenteil. Im Himmel und auf der Erde, in Wald und Flur wird die Geburt lauthals verkündet, ein Stern zeigt sie - für alle sichtbar - schon im Vorfeld an.

Tatsächlich sind es die Weisen aus dem Morgenland, die das erste Geheimnis Christi mit sich herumtragen und es bewahren, nämlich seinen Aufenthaltsort. Dadurch retten sie dem Kind das Leben, verhindern, dass ein Machtpolitiker wie Herodes noch mehr Leben zerstört, noch mehr Macht gewinnt.

Paulus dagegen macht aus seinem Geheimnis kein Hehl:

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Die Heiden sind Miterben und Mitgenossen der Verheißung - das klingt ja nun eher banal und nicht wie ein echtes Geheimnis.

Für Paulus aber war es genau die unverhoffte Offenbarung, die ihn in die Welt hinaustreibt, seine Reisen aus der Heimat hinaus in unbekannte Weiten und Länder erst möglich macht -

und so seine gesamte Tätigkeit, sein gesamtes Leben bestimmt.

Eine leichte Erkenntnis kann das nicht gewesen sein: denn Christus hat sein gesamtes Leben auf den Kopf gestellt. Hat ihn vom Christenverfolger zum glühenden Missionar gemacht. Hat ihn auf lange und gefährliche Reisen geschickt, ihn mehrfach ins Gefängnis gebracht und am Ende für seinen Glauben sterben lassen.

Paulus hat für sich das Geheimnis Christi entschlüsselt - und es hat sein Leben total und komplett verändert.

Immer wieder gibt es Menschen, die glauben, sie hätten Christus begriffen, sein Geheimnis entschlüsselt -   die ihn sich aber in Wirklichkeit nur selbst aneignen, ihn nur ihren eigenen Zielen und Vorstellungen einpressen:

Beim Sturm auf das Capitol in der letzten Woche war groß und breit ein Banner zu sehen, auf dem stand: Jesus saves us.

Auf Pegida-Demonstrationen vor einigen Jahren in Dresden waren Kreuze zu sehen, die mit den Farben der Deutschlandflagge bemalt waren.

In Bremen wurde vor einigen Wochen ein Pfarrer aus dem Dienst entlassen, weil er glaubte, begriffen zu haben, dass es nötig und wahrhaft christlich sei, in Jesu Namen Hetzpredigten gegen Homosexuelle zu geifern.

Immer wieder gibt es Menschen, die glauben, sie hätten - wie Paulus - Christus begriffen - sein Geheimnis sozusagen entschlüsselt. Und die ihn dabei aber - anders als Paulus - auf ihr erbärmliches Niveau herabziehen und darin einsperren wollen.

Bei ihnen ist Jesus derjenige, der die eigene Engstirnigkeit unterstützt, die eigene Kleingeistigkeit groß macht, die eigene Politik der Ausgrenzung mitträgt, die eigene Angst vor Veränderungen verspürt und die eigenen Worte von Hass und Gewalt verbreitet.

Das ist ihr Christus-Geheimnis - es dient den eigenen Zielen. Es trägt, unterstützt und festigt die eigenen Vorurteile und Weltbilder  -  und bringt so Tod und Verderben in die Welt.

Dabei macht es Paulus uns doch vor: sein Christus wird nicht klein gehalten. Sondern groß gemacht - so groß, dass er niemandem vorenthalten werden kann. So groß, dass kein Mensch durch ihn ausgeschlossen und niemand von ihm ferngehalten wird.

Sein Christus weitet sein eigenes Weltbild und baut die eigenen Vorurteile ab - und schafft so neues Leben, neues Miteinander - in einer unbekannten Welt mit neuen Regeln.

Weihnachten ist, glaube ich, ein bisschen wie eine Schnittstelle zwischen unserem Wunsch nach genau diesem Christus - und dem Christus, der mir gehört. Den ich in meine Krippe lege und der darin liegen bleibt, bis ich ihn heraushole. Der Christus, in den ich mich so heimelig einkuscheln kann, zusammengerollt auf dem Sofa vor dem Kamin. Der keine Anforderungen kennt, keine Ansprüche stellt, sondern einfach alle Menschen liebt.

Soll ich Ihnen ein Geheimnis verraten? Das ist der Christus, den wir zur Welt bringen - aber nicht der, der in die Welt gekommen ist.

Es ist der, den wir vielleicht erwarten - aber nicht der, der diese Erwartung erfüllt.

Paulus macht es uns vor: Christus stellt unser Leben auf den Kopf und unsere Erwartungen auf die Probe. Er ist immer das Unerwartete und das Unbequeme. Das, was uns aus dem Alltag, dem eigenen Trott, der eigenen Sichtweise herausreißt.

Der Christus, der uns - wie die Weisen aus dem Morgenland - Umwege gehen lässt, um Leben zu retten.

Der unsere Ansichten, Vertrautheiten und Urteile hinterfragt und in Zweifel stellt - um uns für das kommende Reich Gottes bereit zu machen.

Dieser Christus kann manchmal ganz schön nerven - und ist anstrengend. Denn er lässt nie zu, dass wir Gesetze einhalten um der Gesetze willen.

Er lässt nicht zu, dass wir Menschen verurteilen, weil wir anders leben.

Er lässt uns nicht in Ruhe auf dem Sofa sitzen, während vor der Tür Einsamkeit und Elend herrschen.

Er ist das Kind in der Krippe - aber er liegt nicht stumm und still da, mit holdseligem Lächeln im Gesicht. Sondern er schreit - wie jedes Kind. Und er schreit den Zustand der Welt zum Himmel und in die Welt hinein.

Damit wir aufstehen, uns auf den Weg machen - und sein Geheimnis hinaustragen, dass es aller Welt offenbar werde.

Amen.