Predigt zu Sacharja 9, 9-10 (1. Advent)
Liebe Gemeinde,
als ich meine Predigt schreibe, ist es bereits Freitag - das ist ungewöhnlich spät. Und es fällt mir ungewöhnlich schwer, Worte zu finden. Vielleicht, weil die Texte so bekannt sind, dass sich Worte eigentlich erübrigen; den einen haben wir in der Lesung gerade gehört.
Der andere steht beim Propheten Sacharja:
Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze!
Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einer Eselin Füllen.
Denn ich will die Wagen vernichten in Ephraim und die Rosse in Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum anderen und vom Strom bis an die Enden der Erde.
Der Prophet Sacharja - und der Evangelist Matthäus.
Zukunftsmusik und Gegenwartsbeschreibung.
Advent - und Ostern -
Ankündigung des Königs - und Einzug in Jerusalem
Geschichten von Verheißung und Erfüllung.
Der Esel ist gefunden, der Einzug vollbracht, die Geburt steht kurz bevor.
Gottes Sohn wird kommen - das Warten hat ein Ende.
Doch der Frieden lässt auf sich warten - die Welt ist gespalten wie eh und je. Und die Kriegsbögen sind gespannt mitten in unserer Gesellschaft.
Da wäre es zu einfach, zu sagen: die Verheißung ist erfüllt.
Stattdessen steht sie mitten im Raum - und wir tun unser Möglichstes, sie kleinzureden. Damit die Hoffnung nicht zu groß wird, weil die Enttäuschung überhand nimmt.
Denn unsere Geschichten von Verheißung und Erfüllung sind zugleich Geschichten von Hoffnung und Enttäuschung.
Das Volk hofft auf den starken König, hoch zu Ross, den Gerechten, den Helfer - und es kommt einer, dessen Stärke in der Schwachheit liegt, im Verzicht, in der Menschwerdung.
Die Menge ruft Hosianna zu dem Sohne Davids - und wendet sich ab vom Opfer am Kreuz.
Wir rufen heute Hosianna und zweifeln zugleich, ob es wirklich Weihnachten wird in diesem Jahr.
Die Verheißung wird nicht von uns er-griffen, sondern unterliegt im Kampf gegen ein Virus, dem wir die alleinige Krone unserer Aufmerksamkeit aufsetzen. Corona wird zum Schöpfer unseres Alltages, die Zahl seiner Infektionen heilsentscheidend und sein Geist durchweht unsere Gesellschaft. Das Virus wird zum Götzen und unser Hosianna vergöttert die Wissenschaft.
Gottes Verheißung gerät ins Hintertreffen - und wir fragen uns, ob sie es auch in diesem Jahr schafft, aus dem Stall der Armseligkeit heraus zu kommen.
Dabei brechen sich neue Verheißungen Bahn: nämlich, dass Weihnachten stattfinden wird, wenn wir nur schön brav sind und alle Regeln befolgen. Die Erfüllung der Verheißung hängt an uns - wir haben es in der Hand.
So gesehen ist das böse Erwachen am Weihnachtsmorgen schon vorprogrammiert - denn auch dann fällt das große Treffen flach, können wir uns nur im kleinsten Kreise sehen, und dürfen den Abstand nicht allzu eifrig überwinden.
Da will einem heute schon das Hosianna im Halse stecken bleiben.
Vielleicht liegt es daran, dass ich am Freitag morgen noch immer nach Predigtworten suche. Denn es prahlt sich leichter mit Erfolgen als mit Ent-täuschungen.
Und ich glaube, Advent ist eine Zeit, in der es genau darum geht.
Eine Ent-Zeit.
Eine Zeit, die uns ent-täuscht.
Die uns von der irrigen Vorstellung befreit, es läge an uns oder an den Infektionszahlen, ob Weihnachten stattfindet oder nicht.
Die gute Nachricht ist: Weihnachten findet immer statt.
Denn Gottes Geschenk an uns ist keine Belohnung für folgsames Verhalten. Sein Geschenk ist er selbst. Sein Geschenk ist, dass er verzichtet auf all seine Macht, seine Herrschaft - dass er verzichtet auf alles, was wir uns so als seine göttliche Größe vorstellen.
Sein Geschenk an uns ist unsere Ent--täuschung über sich selbst.
Nicht der prachtvolle Weltenlenker, der auf dem hohen Ross sitzt und wenn er spricht zu einem von uns: Geh hin - dann gehen wir. Und zu einem anderen spricht: Komm her - dann kommen wir.
Nicht der.
Sondern der Eselreiter und Menschenfischer, der uns gleich wird, sich als Mensch erkennen lässt, damit wir zu seinem Ebenbild werden können.
Dabei achtet er nicht darauf, wie viele Menschen um den Esstisch sitzen. Es ist auch unwichtig, ob wir unsere Kinder umarmen oder mit den Enkeln skypen.
In den sozialen Medien ist immer wieder die Rede von dem Weihnachten, das nicht stattfindet, das nur eingeschränkt stattfindet, das anders ist - von dem Weihnachten, dass nur ist, wenn und wie wir wollen. Von dem Weihnachten, das nur sein kann, wenn Corona nicht ist.
Dieses Weihnachten vermisse ich aber gar nicht - denn es ist ein Luftblasenfest einer menschengemachten Liebe, die abhängt von der Zahl der Geschenke unter dem Baum und dem Glanz der Glitzersterne auf der Tischdekoration.
Das Weihnachten, das uns Gott beschert - das glänzt immer voller Liebe durch alle Einsamkeit und Trauer hindurch. Es wird gespürt in unseren Umarmungen, geschmeckt in unseren Gänsebraten und erfahren in unserem Miteinander. Aber es hängt nicht davon ab.
Der Esel ist systemrelevant - unsere Weihnachtsgans ist es nicht.
Gottes Weihnacht hängt nicht an Corona.
Und auch nicht an dem einen Heiligen Abend. Sein Geschenk ist er selbst - und er durchdringt unser Leben. Ihn erfahren wir immer dann, wenn wir verzichten, damit ein anderer erhält; wenn wir lieben, damit ein anderer geschützt wird; wenn wir schenken, damit ein anderer im Mittelpunkt steht.
Weihnachten ist nicht das Fest unserer Liebe - und sein Bestand nicht abhängig vom Inzidenzwert unseres Hosianna - das ist vielleicht die größte Ent-täuschung.
Es ist das Fest der Liebe Gottes zu uns - und das ist hoffentlich die beste Erfüllung all unserer Hoffnungen.
Auch in diesem Jahr.
Amen.