Predigt zu Johannes 13, 21-30 (Invokavit)
Jetzt beginnt sie also - die Fastenzeit.
Zeit des Verzichts. Zeit der Rückbesinnung auf mich, meine Beziehung zu Gott und den Menschen. Auf das, was wichtig ist im Leben.
Es klingt, als seien wir in einer Dauer-Fasten-Schleife - denn genau das sind auch die Dinge, die viele im letzten Jahr für sich neu entdeckt haben.
Nutze die Zeit zur Besinnung, wenn das Leben ohnehin gerade mal eine Pause macht.
Löse dich von allem, was „dich“ festhält und blockiert.
Und jetzt: Fastenzeit. Ganz offiziell. Mit dem Motto: 7 Wochen ohne Blockaden.
Mein erster und - ich gebe zu - höchst subversiver Gedanke war: Genau! Weg mit den Blockaden. Weg mit den Schließungen. Weg mit dem Lockdown.
Klingt gut, trifft aber wohl leider nicht den Kern.
Denn die Blockaden, von denen hier die Rede ist, sind die inneren Blockaden. Das, was mich innerlich am Leben hindert. Meine Ängste, meine Vorurteile, all die selbstverhängten Schlösser, die meinen Zugang nach außen, ins Leben, zu den Menschen verhindern.
Ein gutes Motto - denn solche Blockaden können tödlich sein. Für mich und für alle meine Beziehungen. Vor allem dann, wenn sie vor jeder Wahrnehmung stehen und jedes Miteinander beeinflussen.
So wie in unserem heutigen Predigttext - bei Johannes im 13. Kapitel.
Text lesen
Das letzte Abendmahl. Das letzte Fest. Das letzte gemeinsame Essen.
Das Ende rückt näher.
Die Geschichte spitzt sich zu.
Jesus weiß es - wir wissen es.
Die Jünger - wissen nichts.
Aber vermutlich ahnen sie etwas.
Denn die Stimmung ist gedrückt. Der Meister ist betrübt im Geiste und spricht dunkel von Verrat. Die Gemeinschaft ist bedroht.
Das Gefühl ist da - aber die Sprache fehlt.
Stattdessen: die Jünger blicken einander an.
Mehr geht nicht.
Sie sind blockiert.
Aber wodurch? Durch Furcht vor Entdeckung? Durch gegenseitiges Misstrauen?
Oder einfach nur durch völliges Verkennen der Situation?
Wörtlich übersetzt könnte hier auch stehen:
Die Jünger blickten einander an, ratlos, verlegen - denn sie wissen nicht, von wem er spricht.
Diese Gemengelage blockiert sie, macht sie sprachlos und handlungsunfähig. Sie sitzen nur und schauen - suchen die Lösung im Gesicht der anderen. Sollen doch die anderen den Namen aussprechen, die Ahnung zur Realität werden lassen. Sollen doch die anderen die brüchige Gemeinschaft zerstören.
Einer aber will Klarheit - will die Gefahr beim Namen nennen, das Böse entlarven, die Gemeinschaft retten.
Petrus weiß, sie müssen raus aus der Sprachlosigkeit, die Düsternis überwinden.
Seiner Kraft aber traut er nicht. Sich traut er nicht - und schickt den anderen vor. Den Jungen, den Liebling. Den mit dem glücklichen Händchen, den Sonnyboy, dem immer alles gelingt.
Der soll‘s richten.
Der kuschelt sich an Jesus: Mir kannst du’s doch sagen, Herr. Mir kannst du vertrauen. Wer ist’s, der dich verrät?
Doch es fällt kein Name. Wie einfach wäre es: Judas ist es.
Ein Wort nur - doch es fehlt. Der Gruppe wird die Abgrenzung zum Verräter versagt.
So einfach ist es nicht. Nicht: wir, die Guten - gegen den da drüben. Den Bösen.
Stattdessen: der ist’s, dem ich den Bissen gebe. Der ist’s, der zu uns gehört, ein Teil von uns ist. Der ist’s, dem ich auch jetzt noch nahe bin.
Vertrauen und Verrat liegen eng beieinander - das eine geht nur in der Intimität des anderen. Nur wo Nähe ist, da lebt Vertrauen - und nur, wo Vertrauen war, ist Verrat möglich.
Und dann?
Judas geht.
Die Jünger bleiben zurück - aber die Beziehung ist gestört - durcheinandergebracht.
Die Gemeinschaft zerbricht.
Jetzt findet Jesus seine Worte - und hält seine Abschiedsrede. Fordert sie auf: Liebt einander, wie ich euch geliebt habe. Dann findet ihr den Weg zum Vater und seid begleitet vom Heiligen Geist. Dann bleibt ihr in mir und bringt viel Frucht. Wenn ihr einander liebt, wie ich euch geliebt habe.
Doch Judas ist schon gegangen - die Liebe erreicht ihn nicht mehr.
Judas geht -
Und es war Nacht.
Es gibt viele solcher Nächte - in denen es mir geht wie den Jüngern.
Zeiten in denen etwas in mir zerbricht. In denen das Leben um mich herum zerfällt.
Zeiten, in denen alle Menschen um mich herum, alle Freundschaften und Beziehungen meine Einsamkeit nicht überwinden. Meine innere Nacht nicht hell machen können.
Nächte der Entscheidung - in denen sich entscheidet, ob die OP glückt, das Überleben gelingt.
Nächte nach der Diagnose - in denen die Angst den Tumor größer macht als er vielleicht ist.
Die erste Nacht, in der der Streit stärker ist als die Versöhnung - und neben mir ein Fremder liegt.
Die Nacht des Scheiterns - wenn feststeht: Ich kann nichts ändern. Ich bin hilflos. All mein Wissen und Können ist nutzlos.
Die Nacht der Vergeblichkeit - wenn ich spüre: die Erkenntnis bringt keine Klarheit. Die Entfernung des Übels macht das Dunkel nicht heller.
Es gibt viele solcher Nächte. In denen mich meine ganz persönlichen Dämonen blockieren, mich lähmen und festhalten in der Schwärze ihrer Dunkelheit.
Wie die Jünger.
Und wie die Jünger finde auch ich alleine nicht heraus aus ihnen.
Sondern sitze nur da - und schaue zu, wie mich mein Leben verrät.
Die Nerven liegen blank.
Weil ich ihnen nachgeben, meinen Dämonen.
Weil etwas in mich gefahren ist, das mich durcheinander bringt. Ein Diabolos, ein Durcheinanderbringer in mir wütet.
Dann möchte ich einfach gehen, vor dem Durcheinander flüchten, das ich angerichtet habe. Möchte mich den Blicken der anderen nicht mehr aussetzen.
Und blocke alles ab, was mich mit mir selbst konfrontiert.
Doch wenn ich gehe wie Judas - dann erreicht auch mich die Liebe nicht mehr.
Deswegen finde ich, es ist eigentlich ein gutes Motto: 7 Wochen ohne Blockaden.
Heute beginnt die Zeit, mich wieder zurecht bringen zu lassen. Mich gerade zu rücken.
Zeit, mein Leben mal genauer zu betrachten - mit Abstand und besserem Blick.
Zeit, mir klar zu machen, wer ich bin, wer ich sein will - sein soll.
Heute ist es an der Zeit, meine Blockaden zu lösen - und mich von der Liebe in meinem Leben erreichen zu lassen.
Die gibt es in vielfältigen Beziehungen - und doch nicht in allen.
Da gibt es die, die mich durcheinanderbringen - mir den Boden unter den Füßen wegziehen.
Mich in Frage stellen und dadurch verunsichern.
Die anderen, die mir Halt geben. Mich stützen und aufrecht halten.
Mich hinterfragen und so zu Antworten herausfordern.
Beziehungen, die ich abbrechen oder aufrechterhalten kann.
Beziehungen, die mir gut tun - oder mir schaden; die mich in Versuchung führen oder mir die Kraft geben, zu widerstehen.
Beziehungen sind entweder meine Kraftquellen und machen mein Leben weit - oder sie engen mich ein, blockieren mich, rauben mir auch den letzten Lebensnerv.
Für die Jünger ist die letzte Rettung ihre Beziehung zu Jesus. Er soll die Worte finden, soll heilen und zurechtbringen, was vor ihren Augen zerfällt.
Und Jesus findet die Worte. Weil er uns liebt - mit allem, was uns ausmacht. Nicht die Angst- aber die, die sich ängstigen. Nicht den Verrat - aber den, der verrät. Nicht das Chaos - aber den, der durcheinander ist.
Diese Beziehung ist die eine Beziehung, deren Liebe mir immer und überall in meinem Leben begegnet.
Sie gibt mir die Kraft, meinen Dämonen auch in der Nacht zu begegnen - und ihnen standzuhalten. Und sie macht mich frei von allem, was mich blockiert - macht mich frei, selbst zu lieben, weil mich seine Liebe erreicht hat.
Sogar in meiner tiefsten Nacht - da, wo ich am verwundbarsten durcheinander bin.
Christus sucht meine Nähe genau dann - Er konfrontiert mich mit seinem Vertrauen, wo mein Vertrauen verloren geht.
Seine Liebe ist am größten, wenn ich am wenigsten liebenswert bin.
Er reicht mir die Hand mit dem Bissen, der mein Durcheinander entlarvt, aber mich nicht in die Nacht hinaus zwingt. Sondern zum Bleiben einlädt - in seinem Licht und an seiner Seite.
Zu neuer Gemeinschaft - durch das Dunkel hindurch.
Amen.