14. Sonntag nach Trinitatis - 05.09.2021

Predigt zu 1 Thess 5, 14-24 // Lk 19, 1-10 (Lesung) 

Seit einer Woche sind wir aus dem Urlaub zurück - und das, woran ich als erstes und sofort gesehen habe, der Sommer ist vorbei: sind die Leitern. Leitern an erntereifen Obstbäumen, Leitern an ausgewucherten Sträuchern, Leitern an verstopften Dachrinnen.

Die Leitern zeigen mir: es gibt viel zu tun - jetzt, nach dem Urlaub.

Also: Aus dem  Urlaub und zurück - und hinein in die Arbeit - so die Theorie.

Tatsächlich aber stelle ich immer wieder fest: Aus dem Urlaub zurück, ist soviel mehr. 

Das heißt: Umarmung: Schön, dass ihr wieder da seid.

Das heißt: Aufforderung: Erzähl doch mal, wie war’s denn?

Das heißt: Sehnsucht: Wie gerne wäre ich dabei gewesen.

Das heißt: Hoffnung: Jetzt kann ich wieder mit voller Kraft loslegen.

Wenn  ich im Urlaub bin, das geht es mir ein bisschen wie Zachäus.

Mitten im Grünen, vor dem Alltag geschützt durch ein dichtes Blätterdach, in sicherer Entfernung zu allem, was ihn ärgert, stresst, belastet.

Und mit entspanntem Blick auf alles, was passiert.

Nicht erreichbar, nicht ansprechbar - weit weg von den Problemen der Welt.

Und manchmal wünsche ich mir, dieser Zustand könnte ewig dauern.

Doch nichts auf dieser Welt ist ewig - und irgendwann müssen wir zurück.

Erst vielleicht eher unwillig: die Kleidung am Strand ist bequemer als im Büro, die Sprache des Urlaubs klingt lieblicher als die des Terminkalenders, der Geschmack der Freiheit ist süßer als der der Verpflichtung.

Aber der Tag der Abreise kommt - und wir fahren - und kehren der abgehobenen Leichtigkeit, der unbelasteten Freude den Rücken.

Und jedes Jahr, bei jeder Rückkehr kommt irgendwann der Punkt, an dem ich es nicht abwarten kann, endlich wieder zuhause zu sein.

Endlich wieder meine Arbeit zu machen, meine Freunde zu sehen, meine Beziehungen zu erneuern.

Jedes Jahr kommt der Punkt, an dem ich wieder mitten in meinem Leben stehe - mitten in meiner Verantwortung, meinen Aufgaben, meinen Telefonaten, meinen Gesprächen - und mich darüber freue, dass ich diese Aufgaben habe, diese Verantwortung trage, mit diesen Menschen sprechen kann.

Denn im tiefsten Innern ist mir klar, dass völlige Freiheit auch völlige Beziehungslosigkeit bedeutet. Wenn ich immer nur auf meinem Baum sitzen bleibe und nie mehr herunterkomme, verliert mich die Welt aus den Augen - und ich verliere den Blick für die Welt.

Ich hätte keine Bodenhaftung mehr - und die Leichtigkeit meines Seins wäre unerträglich.

Ob Paulus diese Ambivalenz im Blick hat, als er seinen Brief an die Thessalonicher schreibt, weiß ich nicht. Aber ich glaube, dass er sie ganz gut trifft, wenn er schreibt:

 

Text lesen

 

Ein bisschen geht es mir mit dem Text wie mit der Rückkehr aus dem Urlaub.

Am Anfang sehe ich nur den Pflichtenkatalog: tu dies nicht, dafür aber das. Sei nicht so, sondern anders.

Aus Freiheit wird Aufgabe, und von der Leichtigkeit bleibt nur der Hauch der Erinnerung.

Und Paulus ist genau der Miesepeter, für den ich ihn schon immer gehalten habe.

Aber tatsächlich glaube ich, dass ich ihm damit unrecht tue.

Er schreibt keine To-Do-Liste, die wir abarbeiten müssen. Keine Checkliste zum Abhaken.

Sondern er sieht, wie wir uns einander entziehen, uns gegenseitig kränken oder kleinmachen. Sieht die Wut und den Streit und die Gewalt, mit denen wir einander begegnen und die Angst, die uns umtreibt.

Er sieht, wie wir uns auf unseren Baum zurückziehen, weit weg von den Wirren des Lebens, damit uns nichts mehr berührt.

Er kennt unseren Drang nach Freiheit, nach Freude und Unbeschwertheit.

Also ruft er auch:

Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlass, seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus für euch.

Paulus ist kein miesepetriger verknöcherter Moralapostel; sondern er hält uns die Leiter, damit wir vom Baum unserer Absonderung heruntersteigen.

Und Freude, Dank und Gebet sind die Sprossen, die uns tragen und festen Tritt geben.

Diese Freude ist mehr als nur Fröhlichkeit - ich glaube, es ist ein tiefes inneres Grundvertrauen darauf, dass am Ende unserer Leiter nicht irgendjemand steht, sondern eben Christus Jesus.

Er hat keine Angst vor der Begegnung mit unseren Abgründen und Schwachstellen, sondern ist bei uns im Gebet. Ist uns nahe und unser Gegenpart, prüft uns, aber verwirft uns nicht.

Stattdessen steht er unten und ruft uns aus unserer  Höhe eilends zu sich herunter - hinein ins Leben, auf den Weg, den er mit uns geht.

Dorthin, wo wir einander Mut zusprechen statt Gewalt anzudrohen, Streit schlichten anstatt Krieg zu suchen, uns gegenseitig stärken statt unsere Schwachstellen ausnutzen.

Die Sprossen dieser Leiter sind manchmal vielleicht etwas uneben. Wir können uns auch Spreißel einfangen oder Schrammen holen. Aber wenn wir unten angekommen sind, ist auch uns Heil widerfahren.

Amen.