Predigt zu 2 Kor 9, 6-12
Als ich noch klein war, bin ich oft und gerne mit meiner Oma oder meiner Mutter einkaufen gegangen. Vor allem beim Metzger war es besonders schön: der neueste Klatsch und Tratsch empfing uns schon beim Hineinkommen und ich hatte immer das Gefühl, dazu zu gehören.
Dann waren wir dran - ich durfte mit aussuchen, was es an Wurst und Schinken die nächste Woche geben würde - und der Höhepunkt nach dem Bestellen: Magst du eine Scheibe Wurst? (Meine sehnsüchtigen Blicke vorher waren offenbar richtig gedeutet worden - ich hatte ja damit gerechnet, darauf gehofft - aber manchmal, wenn auch nur ganz selten, gab es eben auch mal keine Wurst. Ganz sicher sein konnte ich nie.)
Und wenn ich dann eifrig genickt hatte, die nachgeschobene Fragen an die Mama: Sie darf doch was haben, oder? (Nein zu sagen, hätte einen Aufstand provoziert, also durfte ich immer).
Freudestrahlend nehme ich also meine unglaublich dicke Scheibe Gelbwurst (die übrigens in anderen Teilen Deutschlands völlig unbekannt ist) entgegen und schwebe im siebten Himmel erwarteter Genüsse - um dann jäh auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt zu werden mit einem streng-mütterlichen: Und was sagt man da jetzt?
Meine Oma hat das immerhin noch ein bisschen freundlicher verpackt: Nun sag auch schön Danke - da lässt sich das leise geflüsterte Dankeschön leicht hinterher schieben.
Bei der Frage: Und was sagt man da jetzt? Habe ich immer das Gefühl gehabt, ich würde auf die Probe gestellt - müsste eine Art Prüfung bestehen - und die ganze Welt (also alle Welt in dem kleinen Laden) schaut dabei zu. Klinge ich auch freundlich genug? Und komme ich auch wirklich dankbar genug rüber?
Diesen Teil mit dem Danke sagen habe ich nie gemocht. Nicht, weil ich mich nicht bedanken wollte. Aber die Aufforderung dazu kam immer zu schnell - noch bevor ich eine Chance gehabt hätte, mich von mir aus zu bedanken. Und so wurde der Dank zur Pflicht und kein Teil meiner Freude mehr. Ich presste ihn mühsam hervor und erntete als Reaktion: Naja, sie ist ja noch klein. Sie wird es schon noch lernen.
So, als ob ich es nicht von alleine wüsste und das unhöflichste Kind auf der Welt wäre. Dabei war ein Blick auf mein Gesicht wahrscheinlich deutlicher als alle Worte.
Aber manchmal wissen Mütter eben auch, dass wir vergessen, danke zu sagen - weil uns das Gegebene, das Geschenkte zur Selbstverständlichkeit wird. Zu etwas, worauf wir ein Anrecht haben - eine Art Geburtsrecht also - quasi qua unserer Existenz. Bei einem Stückchen Wurst ist das nicht weiter schlimm - dann gibt es halt das nächste Mal keine.
Bei unserer Welt sieht das schon ein bisschen anders aus.
„Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ - für sich allein genommen könnte auch dieser Satz so missverstanden werden. Das Leben läuft, es funktioniert - und der Lebensraum bleibt uns erhalten, weil es halt einfach so ist.
Aber so ist es nicht - und Leben ist nicht selbstverständlich.
Und wer dieses Versprechen so liest, der liest es höchstens zur Hälfte; denn vor aller Zusicherung hat Gott seinen Schöpfungsauftrag gesetzt: „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über sie.“
Bringt Frucht, in allem, was ihr tut - und pflegt und bewahrt meine Schöpfung.
Und dieser Auftrag gilt vor allem und trotz allem. Auch das Leben nach dem Paradies macht diesen Auftrag nicht hinfällig.
Gott gibt sein Versprechen an uns Menschen nach der großen Sintflut - nachdem er gelernt hat, dass es nichts nützt, uns zu strafen oder auszurotten: „Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.“ - Das ist die Erkenntnis, die seinem Versprechen vorangeht.
Gott bewahrt unseren Lebensraum, obwohl wir ihm und uns immer wieder Schaden zufügen. Trotz der Gefährdung des Lebens durch uns gilt. Denn für Auftrag und Verheißung gilt, was am Anfang steht: „Und Gott segnete sie und sprach“ - Am Anfang steht der Segen für alles, was lebt - und am Anfang steht sein Wort.
Aber wir tun so, als wäre es völlig egal, wie wir damit umgehen. Es wird ja immer alles seinen gewohnten Gang gehen - denn wir haben ja Gottes Ewigkeitsgarantie.
Wir können also eigentlich aus dem Vollen schöpfen - mit dem Danken und dem Bewahren, denn wir haben die Grundlage für beides. Wer da kärglich sät, der wird auch kärglich ernten; und wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen - wir leben im Segen von Gottes Zusicherung, wir können säen in seinem Segen und ernten in seinem Segen. Wir haben die Gnade einer Zukunft, an die wir glauben können.
Aber trotzdem gibt es Zeiten der Ungnade: der Aussichtlosigkeit und der Unsicherheit. Da sehen wir, wie schnell das gehen kann: leere Regale in England, zerstörte Ernten im Ahrtal, Regenfäule bei der Weinlese … die Jahreszeiten spielen verrückt, unser Lebensraum wandelt sich.
Was also ist jetzt mit Gottes Versprechen? Wird es abgelöst von schmelzenden Gletschern, steigenden Meerespegeln, zerstörerischen Unwettern und den Weltuntergangsszenarien der Klimaaktivisten?
Oder gilt es auch weiter - trotz all dem?
Für radikale Klimaschützer ist die Antwort eindeutig: Wir alleine zerstören, also können auch nur wir bewahren und erhalten. Für diese Bewahrung setzen sie sich ein - mit großer Leidenschaft, brennenden Herzen.
An eine Zukunft glauben sie dabei schon nicht mehr - auch nicht mit einer neuen Regierung. Für sie ist die Erde verflucht, weil wir auf ihr leben - und ihr Weg ist das Ruhen des menschlichen Trachtens, bis hin zum Hungerstreik.
Ihre Hoffnung ist kärglich, denn sie säen auf vermeintlich schlechtem Grund.
Sie legen ihre Saat aus Zwang heraus, denn sie glauben schon nicht mehr an eine gute Ernte.
Wer aber nicht an eine gute Ernte glaubt, hat beim Säen schon kein fröhliches Herz.
Und ohne ein fröhliches Herz kann niemand aus dem Vollen schöpfen, nämlich aus dem Versprechen Gottes, dass „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“
Dieses Versprechen ist unser Boot, das uns durch die Flut trägt - unser Schutzraum vor den Wirbelstürmen im Leben - unser Vorratsspeicher in kargen Zeiten.
Gott hat sich schlau gemacht über seine Menschen, bevor er sein Versprechen gegeben hat. Es war keine leichtfertige Zusage. Vielleicht sollten auch wir uns schlau machen, bevor wir leichtfertig unsere Zerstörungsmacht über seinen Bewahrungswillen stellen - und anfangen, seinen Segen ernst zu nehmen.
Als Ausgangspunkt für unser Leben - und als Handlungsraum - in dem wir uns bewegen - und in dem sich Gott bewegt.
Denn wenn ich das ernst nehme - dann kann ich gar nicht anders, als Schöpfung zu bewahren. Dann erinnert es mich nämlich jeden Tag daran, dass ich soviel Grund habe, Danke zu sagen - dass ich gar nicht anders kann, als Danke auch zu leben - und alles, was mich reicht macht, auch weiterzugeben in aller Lauterkeit.
Dann muss ich die Natur bewahren - damit auch andere ihre Schönheit erleben können.
Dann habe ich keine andere Wahl, als dafür zu sorgen, dass auch andere an ihren Schätzen teilhaben können. Dann setze ich mich selbst mit Leidenschaft und brennendem Herzen dafür ein, dass die Erde ein Raum voller Leben bleibt - nicht freudlos und nicht als Pflichtübung. Nicht verbissen und nicht mit Gewalt. Sondern ein jeder, wie er sich’s im Herzen vorgenommen hat; denn einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.
Amen.