Predigt zu Joh 12, 20-24 (Lätare 21)
Text lesen: Joh 12, 20-24
Wie viele Hindernisse mögen die Griechen auf ihrem Weg nach Jerusalem schon überwunden haben? Die lange Reise, Papiere, Zollerklärungen - all das hat sie nicht hindern können. Sie sind da. Endlich. Es ist geschafft!
So eine Freude!
Heute an Lätare - dem Sonntag, der uns zuruft: Freue dich!
Dem kleinen Ostern - ein Freudentag mitten in der Leidenszeit.
Auf halber Strecke zum Ziel endlich mal kurz durchschnaufen - und neue Kraft schöpfen aus dem, was gut läuft.
Und uns darüber freuen, dass wieder ein Schritt geschafft, wieder ein Hindernis überwunden ist.
Und dann endlich: die Krönung ihrer Reise: eine Begegnung mit dem Star der Stadt, mit Jesus. Dann hat sich das alles gelohnt, war die ganze Mühsal nicht umsonst.
Von diesem Treffen erhoffen sie sich Kraft, Zuspruch, Tipps für ein gelingendes Leben. Damit kann ihnen dann das Leben nichts mehr anhaben, sind sie immun - gefeit gegen alle Anfechtung.
So eine Freude!
Die Bitte ist schnell ausgesprochen - sie wissen, an wen sie sich wenden müssen. Philippus ist bekannt, er ist einer der Jünger, Teil des Teams. Der Türsteher soll sie durchwinken, der security-Mann soll die Fans in den backstage - Bereich lotsen.
Aber so einfach ist es nicht. Denn zuerst müssen sie von Pontius zu Pilatus, von Philippus zu Andreas. Schlange stehen ist angesagt.
Philippus kommt und sagt es Andreas, und Andreas und Philippus sagen’s Jesus.
Die Zuständigkeiten sind klar, der Dienstweg muss eingehalten werden. Zugangsberechtigung ist zu beantragen bei der zuständigen Kommission - Andreas und Philippus. Die geben ihre Empfehlung ab.
Bürokratische Hindernisse auch hier, auch damals schon.
Fast wie bei uns.
Fast wie bei der Impfung.
Auch da gibt es viele Hindernisse - schon im Vorfeld.
Erst gibt es nicht genügend Impfstoff.
Dann bin ich in der falschen Gruppe und noch gar nicht dran.
Wenn ich Vorerkrankungen habe, kann ich bei der Impfkommission einen Antrag auf vorzeitige Impfung stellen. Die Entscheidung erfolgt nach wenigen Wochen - vermutlich sind bis dahin alle anderen aus meiner Altersgruppe ohnehin geimpft.
Außerdem habe ich Angst vor den Nebenwirkungen. Ist denn so ein Impfstoff auch sicher genug? Immerhin ist er ja so einfach aus dem Boden gestampft worden.
Und erst die Anmeldung! Alles online - per mail und online-Formular. Da blicke ich doch gar nicht durch.
Und wie komme ich überhaupt zum Impfen hin? 30 km einfach - ohne eigenes Auto? Wer soll mich denn da hinbringen?
Fragen über Fragen - Hindernisse noch und nöcher.
Irgendwann aber ist es geschafft.
Bei mir war es letzten Samstag soweit: ich stehe in Lohr im Impfzentrum. Weil ich in der Grundschule Religion unterrichte, kann ich geimpft werden - mit AstraZeneca, dem Imfpstoff, den niemand will.
Die Anmeldung hat gut geklappt, der Termin kam schnell - jetzt bin ich da. Meine Papiere bereit, das online-Formular ausgefüllt und ausgedruckt.
Jetzt kann’s losgehen.
Mit dem Schlange stehen. Eine Viertelstunde - das geht ja noch.
Am Check-In-Schalter gebe ich meine Impfberechtigung und mein ausgefülltes Formular ab. einer freundlichen Dame. Sie nimmt es, legt es beiseite und fragt nach meinem Namen, der Adresse, der Impfberechtigung. All das habe ich online schon ausgefüllt und ihr gerade ausgehändigt. Sie sagt, sie muss es nochmal eintippen in den Computer. Danach druckt sie das, was sie eingegeben hat, aus und gibt mir den Ausdruck. Es ist das gleiche Formular, das ich ihr gegeben habe. Mein Geburtsdatum ist falsch. Ändern kann sie es nicht mehr.
Dann überreicht sie mir ein Klemmbrett mit ihrem Ausdruck, meinem Ausdruck, meiner Impfberechtigung, einem Aufklärungsbogen und drei weiteren Formularen, die ich lesen und ausfüllen soll. Vorher gibt’s keine Impfung.
Ich setze mich zu den anderen Patienten und lese und fülle aus. Ich gebe meinen Namen, meine Adresse, meine Impfberechtigung an, beantworte Fragen zu meinen Vorerkrankungen. Auf allen Formularen dieselben Fragen. Es sind dieselben Fragen, die ich schon zweimal beantwortet habe - Nur die Formulare sind anders.
Mittlerweile bin ich seit einer halben Stunde im Impfzentrum.
Vor den Impfkabinen warte ich wieder. Zwei, die nach mir ankommen, gehen vor mir in die nächste freie Kabine. Ich war zu langsam, zu zögerlich.
Dann endlich werde ich in die Impfkabine gerufen. Außer mir halten sich noch drei Frauen darin auf: eine Ärztin, zwei Helferinnen. Die eine Helferin steht am Drucker und druckt noch mehr Formulare aus - insgesamt 5 Stück. Die zweite Helferin misst meine Temperatur. Die Ärztin fragt mich, ob ich noch Fragen habe. Als ich verneine, füllt sie die 5 Formulare aus, stempelt und unterschreibt alle 5 und gibt mir vier davon mit. Kurz bevor ich gehe, impft mich die zweite Helferin, dann bin ich draußen,
Fast bin ich enttäuscht. Langersehnt, unter viel Aufwand erreicht - und doch nur ein kleiner Piks. Kein erhebendes Gefühl naher Befreiung. Kein großer Moment. Ich bin immer noch dieselbe.
Und jetzt heißt wieder warten.
- mind. 15 Minuten - um zu sehen, ob ich umkippe oder sonst etwas passiert. Es geht mir gut, nach 20 Minuten stelle ich mich in die Schlange vor den Check-out-Schalter. Ich gebe meinen Formularstapel ab und erhalte im Gegenzug eine Impfbescheinigung.
Die nette Dame am Schalter teilt mir mit, sie würden all die Blätter mit meinen Angaben bis zum zweiten Impftermin behalten und dann wieder hervorholen. Außerdem bittet sie mich, die Formulare zum zweiten Termin schon online auszufüllen und ausgedruckt mitzubringen - dann ginge es schneller. Ich frage, was das für Formulare wären.
Sie schaut mich erstaunt an und meint: Na, ihre persönlichen Daten: Name, Adresse, Vorerkrankungen.
Ich mache sie vorsichtig darauf aufmerksam, dass sie all diese Angaben doch bereits in mehrfacher Ausfertigung vor sich liegen hat.
Sie sieht mich nur milde lächelnd an und zuckt mit den Schultern.
Das sei eben Bürokratie.
Ganz so schlimm ist es ja für die Griechen nicht gelaufen. Sie fragen Philippus, Philippus fragt Andreas und beide sagen Jesus Bescheid.
Das klingt noch relativ schnell.
Aber dann? Dann ist von einer Begegnung gar nicht mehr die Rede.
Jesus fängt an, zu reden - aber von den Griechen spricht niemand mehr. Sie tauchen nicht wieder auf. Jesus spricht zum Volk - und das Volk antwortet. Keine persönliche Begegnung. Keine Bevorzugung.
Ob sie sich das so vorgestellt haben auf ihrer langen Reise?
Kein herausragender ekstatisch-mystischer Moment langersehnter Gottesbegegnung. Stattdessen verschwinden sie in der Masse aller, die um sie herum stehen.
Aber sie hören das Wort.
Vielleicht ist ja genau das das größte Hindernis vor der Begegnung mit Gott: Dass wir selbst noch da stehen. Und nicht zurückweichen wollen. Sondern erwarten, dass „Ich“ es doch wert bin, gesehen zu werden. Dass sich Jesus doch „mir“ zuwenden muss.
Vielleicht muss es uns so gehen wie den Griechen - dass wir nämlich am Ende erfahren: wichtig bin nicht „Ich“, nicht meine Person.
Wichtig ist, dass wir den richtigen Weg gegangen sind.
Nämlich den mühsamen. Den mit den vielen Fragen und Hindernissen.
Auf dem wir Schlange stehen müssen. Auf dem wir auch mal überholt werden von anderen, die schneller vorankommen. Der immer wieder Wartezeiten für uns bereithält, in denen nichts mehr vorwärtsgeht, in denen ich mit meinem Glauben nicht weiterkomme.
Ein Weg, auf dem ich auch mal die falsche Richtung einschlagen kann, einen Umweg laufe oder zurückfalle.
Denn nur so kommt es zu den Begegnungen mit denen, die ebenfalls ihren Weg gehen. Ebenfalls auf der Suche sind - oder dem Ziel schon näher.
An den Jüngern führt kein Weg vorbei.
An den Erfahrungen derer, die mit Jesus leben, führt kein Weg vorbei.
An der Schrift und ihren Zeugnissen führt kein Weg vorbei.
Sie zeigen uns den Weg. Sie sind uns Stütze und Hilfe - und manchmal lästig und hinderlich.
Denn sie zeigen: es gibt keine Abkürzung auf diesem Weg der Begegnung.
Und die Begegnung ist kein Selbstläufer - selbst wenn wir den Weg gegangen sind, die Hindernisse genommen haben.
Und am Ende? Wenn wir da sind, wo Gott sichtbar wird auf unserem Weg? Wo wir ihn spüren, sehen und hören können?
Dann treten wir zurück - wie die Griechen. Wird unser Anblick, unser Leben, unsere Geschichte aufgehoben, verwoben in seine Geschichte.
Unser Weltbild, unsere Ansichten, unsere Hindernisse - all das hat vor ihm keinen Bestand mehr. Wir können Gott nicht einmal kurz begegnen, in einem freudigen Höhepunkt - und ihn dann einbinden in die Urlaubserinnerungen einer spirituellen Reise.
Die Begegnung mit ihm ist nie abgeschlossen - kein einmaliges Erlebnis, sondern lebensverändernde Beziehung.
Die Begegnung mit Jesus Christus ist keine Schutzimfpung, keine Immunisierung gegen das Leben - sondern sie infiziert uns dauerhaft, damit wir nicht stehen bleiben, sondern unseren Weg zu ihm mit ihm zu Ende gehen.
In diesem Leben und trotz all seiner Hindernisse - von denen uns jedes einzelne verändert und verwandelt wieder neu zum Vorschein kommen lässt.
Amen.