Predigt zu Eph 4, 23-32
Legt von euch ab den alten Menschen, der in Verblendung und Begierde zugrunde geht; ändert euer früheres Leben. Erneuert euch in Geist und Sinn. Zieht euch diesen neuen Menschen an, der ihr sein sollt und werdet endlich so, wie ihr geschaffen seid, nach Gottes Ebenbild, in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.
Leidenschaftlich und dringend ist sie, diese Aufforderung an die Gemeinde in Ephesus - und sie klingt, als wäre sie erst gestern in einer der zahlreichen Pressekonferenzen und Talkshows gesprochen worden.
„Wir sollten unser Leben in einem größeren Zusammenhang sehen“ - so hat sich Amartya Sen, der Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels anlässlich der Preisverleihung ausgedrückt. „Nicht, was gut für mich ist, sondern für den anderen.“ -
Erneuert euch in Geist und Sinn - in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.
Ich glaube, unsere Tage sind gerade voll von solchen Erneuerungen - Absage von Hochzeiten, von Familientreffen, von Geburtstagsfeiern.
Und zuletzt: Absage des Ghana-Tages.
All das geopfert nicht nur der Pandemie, nicht nur den steigenden Infektionszahlen - sondern vor allem der Rücksichtnahme. Der Vorsicht und dem dringenden Wunsch, niemandem durch die eigene Freude zu schaden. „Nicht, was gut ist für mich, sondern für den anderen.“
Auch bei Paulus ist das der Beweggrund:
Darum legt die Lüge ab und redet die Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten, weil wir untereinander Glieder sind. Zürnt ihr, so sündigt nicht; lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen und gebt nicht Raum dem Teufel. Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr, sondern arbeite und schaffe mit eigenen Händen das nötige Gut, damit er dem Bedürftigen abgeben kann. Und schließlich: Lasst kein faules Geschwätz aus eurem Mund gehen, sondern redet, was gut ist, was erbaut und was notwendig ist, damit es Gnade bringe denen, die es hören.
Vielleicht ist dieser letzte Satz der schwerste Teil - auch wenn er noch so selbstverständlich klingt. Denn wer redet, was notwendig ist, sagt oft nicht das, was wir hören wollen. Wir bekämen gerne die billige Gnade von fröhlichen Weihnachtsmärkten, leichtherzigen Umarmungen und fröhlich-sorglosen Feierlichkeiten zugesprochen - und müssen doch hören von noch weniger Begegnung, noch längerer Beschränkung, noch größerer Besorgnis.
Das alles klingt sehr ungnädig - und bewirkt doch genau das Gegenteil - denn es geschieht aus Sorge und Umsicht - und es fordert uns als die Menschen, als die wir geschaffen sind: nach Gottes Ebenbild, in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.
Wie bei jeder guten Argumentation steht auch bei Paulus der wichtigste Grund am Ende - das Wesentliche, das Achtergewicht:
Und betrübt nicht den Heiligen Geist Gottes, mit dem ihr versiegelt seid für den Tag der Erlösung. Alle Bitterkeit und Grimm und Zorn und Geschrei und Lästerung seien fern von euch samt aller Bosheit. Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.
Gott ist betrübt bis ins Herz. Gott weint über uns. Seine Tränen füllen den Raum, begleiten unser Leben.
Nicht der strahlende Könige. Nicht der zürnende Rächer. Nicht der barmherzige Richter. Sondern der weinend Betrübte. Der verlassene Schöpfer,
der uns geschaffen hat zu seinem Bild -
der uns mit seinem Odem in unser Leben geblasen hat -
der sich an uns gebunden hat mit seiner ganzen Existenz -
der nur mit und durch seine Schöpfung ganz Gott in all seiner Fülle ist.
Dem es jetzt schlecht geht - weil wir ihm nicht egal sind.
Was auf uns lastet - das liegt schwer auf seinen Schultern.
Was uns das Leben schwer macht - das beschwert auch sein Leben.
Denn Gott hat sich wie ein Siegel auf uns gelegt -
hat sich im Leben und im Sterben mit uns verbunden - unauflöslich.
Deswegen geht es nicht nur uns an, wie wir leben und was wir tun. Und nicht nur unseren Mitmenschen. Sondern es geht Gott an - und jeder Dienst am anderen ist Dienst an Gott.
Jede Gemeinschaft, die uns untereinander trägt, ist Gemeinschaft mit Gott.
In jeder Vergebung untereinander erfahren wir Gottes Vergebung in Christus.
Und das ist kein Drohwort im Wahlkampf - sondern geschenkte Hoffnung auf Zukunft.
Es ist Auftrag an uns zur Sorge für die Menschen.
Es ist Zuspruch zum Einsatz für gelingendes Miteinander.
Es ist Freiheit, einander Leben zu ermöglichen mitten in aller Beschränkung -
und das Versprechen, dass am Ende die Erlösung steht -
Mit Brief und Siegel.
Amen.