Predigt zu Mt 10, 26-33
Burgen sind eine tolle Sache: Dicke, starke Mauern bieten Schutz nach außen vor den alten und neuen Feinden der Welt - und bilden nach innen lauter kleine und große Räume. Freiraum im Inneren - und vor Bergfried aus Perspektive nach außen. Blick in die Zukunft.
Martin Luther weiß, wovon er spricht, als er den Vers schreibt von Gott, der eine feste Burg ist - er hat es selbst erfahren: Schutz nach außen vor den Feinden und Fürsten der Welt - und Freiraum nach innen, zur Übersetzung der Bibel, zum Schreiben seiner Werke.
Auch die Jünger und auch das Volk Israel hätten das Bild von der Burg verstanden - auch sie haben solche Erfahrungen gemacht.
Das Volk im Exil, weggeführt in die Fremde - geändertes Leben. Die frühere Leichtigkeit ist begraben unter den Trümmern der Heimat. Tausende verlieren ihre Existenz. Der Feind ist über sie gekommen - unaufhaltsam, wie ein Sturmwind.
Doch ihr größter Feind ist ihre Angst vor dem, was noch kommt.
Aber dann ist da Jeremia, einer ihrer Führer. Er erinnert sie daran, dass zwar ihre Welt in Trümmern liegt, aber nicht ihre Zukunft:
Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.
Jeremia verschweigt nicht die Wahrheit: Es wird dauern, dieser Zustand der Gefährdung, der Fremdheit, der Verunsicherung. Jahrelang. Also lernt, mit dem Exil zu leben.
Aber trotz alldem kommt die Verheißung Gottes nicht ins Wanken - und ihre Mauern sind stark genug, hoch auf den Bergfried zu gehen und von dort einen Blick in die Zukunft zu wagen:
Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte; nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen und gebt eure Töchter Männern, dass sie Söhne und Töchter gebären; mehrt euch dort, dass ihr nicht weniger werdet. Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum HERRN; denn wenn's ihr wohlgeht, so geht's euch auch wohl.
Das ist seine Perspektive der Hoffnung.
Auch die Jünger stehen vor einer Umwälzung ihres Lebens.
Von jetzt an gehen sie nicht mehr gemeinsam weiter. Sie müssen sich trennen - nicht für immer. Aber für die nächste Zeit. Jeder ist auf sich allein gestellt. Treffen sind erst mal nicht mehr möglich. Denn Jesus, der Mann an ihrer Spitze, hat sie ausgeschickt, selbst zu predigen. Ihren Glauben zu leben und vor der Welt zu ihm zu stehen. Und er warnt sie vor dem, was passieren kann - er verschweigt ihnen nichts.
Die Menschen werden euch ablehnen, euch sogar hassen. Sie werden euch verfolgen, verhaften, sogar töten. Rechnet mit dem Schlimmsten.
Aber euer größter Feind wird die Angst sein.
Es wird dauern, dieser Zustand, also lernt mit ihm zu leben.
Aber: Fürchtet euch nicht. Denn es ist nichts verborgen, was nicht offenbar wird, und nichts geheim, was man nicht wissen wird.
Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht; und was euch gesagt wird in das Ohr, das verkündigt auf den Dächern.
Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet viel mehr den, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle. Verkauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater. Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Haupt alle gezählt.
Darum fürchtet euch nicht; ihr seid kostbarer als viele Sperlinge. Wer nun mich bekennt vor den Menschen, zu dem will ich mich auch bekennen vor meinem Vater im Himmel. Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem Vater im Himmel.
Trotz allem gerät Gott nicht ins Wanken - und die Mauern seiner Treue sind fest genug, um auch hier nach oben zu steigen und einen Blick in die Zukunft zu tun:
Schutz vor dem Feind nach außen - und Freiraum aus Treue und Bewahrung nach innen. Das ist Jesu Perspektive für die, die ihm nachfolgen.
Burgen sind eine tolle Sache: Dicke, starke Mauern bieten Schutz nach außen vor den alten und neuen Feinden der Welt - und bilden nach innen lauter kleine und große Räume. Freiraum im Inneren - und vor Bergfried aus Perspektive nach außen. Blick in die Zukunft.
Aber wo ist unsere Burg?
Unser Leben hat sich geändert. Corona fegt wie ein Sturmwind hindurch und wir rechnen mit dem Schlimmsten. Angst macht sich breit.
Auch wir hören Stimmen von Männern und Frauen an unserer Spitze.
Es sind Stimmen von Menschen, die sich sorgen um unser Land, um seine Menschen, seine Wirtschaft, um unser Wohlergehen. Es sind aufrechte Stimmen, die nach dem besten Weg suchen, Ruhe vor dem Sturm zu finden.. Integre Stimmen, die bereit sind, Unmut und Zorn auf sich zu ziehen, weil sie überzeugt sind, dadurch das Schlimmste zu verhindern.
Aber es sind angstbesetzte Stimmen. Sie reden nicht von Zukunft und Hoffnung, sie haben keine Vision für unsere Gesellschaft nach der Veränderung. Sie reden nur davon, wie eine hoffnungslose Zukunft verhindert werden kann.
Ihre Worte sind geprägt von der Angst, die Kontrolle zu verlieren. Ihre Entscheidungen unterwerfen sich ihrer Angst. Ihre Maßnahmen sind Folgen ihrer Angst.
Und die ist der Fürst ihrer Welt.
Sie rufen keine Verheißungen in Erinnerung. Und sie geben keine Perspektive für die Zukunft. Ihre Mauern sind nicht gebaut aus Gottes Wort für uns, sondern aus den Steinen ihrer Angst. Ihre Mauer bieten aber gegen die Angst keinen Schutz nach außen, sondern erzeugen noch mehr davon. Jedesmal wenn ich höre, was sie sagen, jedesmal, wenn sie die drohenden Folgen, das drohende Schlimmste ausmalen - jedesmal dann spüre ich, wie meine Angst exponentiell mitwächst.
Und es geht nicht darum, ob oder dass diese Angst begründet ist oder nicht. Sondern es geht darum, dass Angst Perspektive verengt oder gar nicht erst entstehen lässt. Dass sie meine Handlungsoptionen einschränkt, und uns nur noch eingleisig denken lässt - weil wir ängstlich nur darum kämpfen, das Schlimmste zu verhindern - anstatt frei zu sein, einer Vision von neuem Leben unter veränderten Bedingungen Raum zu geben.
Die Mauern dieser Angst bilden nach innen auch keine Räume, die Hoffnung wecken und Zukunft verheißen - sondern sie verschließen die Räume, die vorher offen waren.
Unsere Räume aber, liebe Gemeinde, die sind noch offen. Und es gibt kritische Stimmen, die das anmahnen. Es sei ungerecht, dass noch Gottesdienste stattfinden dürfen, aber keine Konzerte, kein Sport mehr. Unser Feind, die Angst, sendet seine Boten aus.
Es gibt sogar im Dekanat Stimme von Kolleginnen und Kollegen, die überlegen, aus Solidarität mit den Künstlern keine Gottesdienste mehr zu feiern, solange der Lockdown dauert.
Ich verstehe, welche Idee dahinter steht - dass nämlich Kirche bei den Menschen sein soll, ohne Sonderstellung.
Trotzdem glaube ich, das wäre der falsche Weg. Denn wenn Kirche nur noch bei den Menschen ist, aber ihren Grund vergisst, der gelegt ist in Jesus Christus und seinem Evangelium, dann bringen wir selbst unsere Mauern ins Wanken.
Gerade das ist der beste Grund, soviele Gottesdienste wie möglich zu feiern - Kirchen solange wie möglich als Räume offenzuhalten: Weil wir erinnern an Gottes Verheißung. Mit jeder Begegnung, mit jedem Obdach, das wir gewähren.
Unsere Kirche ist gebaut auf dem festen Grund von Jesus Christus. Unsere Mauern stehen fest auf dem Wort seiner Verheißung - und sie bieten Freiraum für alle, deren Räume geschlossen sind. Innerlichen Freiraum - Zeit, um einmal Luft zu holen, um durchzuschnaufen, bevor die eigene Enge wieder erfahren wird.
Und Freiraum ganz konkret - für alle, die ihn suchen - weil sonst kein Platz war in den Herbergen. Für Jugendliche und Alte im Gespräch. Für Künstler in musikalischen Andachten.
Unser Fürst ist nicht die Angst.
Und heute wünsche ich unseren Politikern, unserer Gesellschaft und jedem einzelnen von uns dass Angst auch bei uns nicht das letzte Wort hat.
Ich wünsche uns die Weitsicht, nicht zu beschränken, sondern unsere Handlungsmöglichkeit auszuschöpfen.
Die Furchtlosigkeit, uns nicht voneinander abzusondern, sondern uns füreinander zu öffnen und einander Raum zu geben.
Die Kreativität und Phantasie, uns nicht einzusperren, sondern neue Wege zu finden, die wir gemeinsam gehen können.
Unsere Mauern sind fest genug, auf unseren Turm zu steigen und einen Blick in die Zukunft zu wagen. Und dort zu sehen: Am Ende steht das Wort - und die Angst ist nicht mehr.
Das ist unsere Perspektive - aus der heraus glauben und handeln und sprechen wir.
Gott sei Dank. Amen.