20. Sonntag nach Trinitatis - 25. Oktober 2020

Predigt zu Mk 2, 23-28

Da sind sie - die 11 Leitsätze für eine neue Kirche - die kein Mensch kennt. Die aber trotzdem auf der EKD-Synode im November beschlossen werden sollen.

Obwohl sie kein Mensch kennt. Keine Gemeinde hat sie erhalten, keine Diskussionsrunde befasst sich mit ihnen. Impuls- und Positionspapier sollen sie sein für eine Reform der Kirche von unten - und stellen doch nur neue Vorgaben von oben auf - so wird es sein, in Zukunft. So habt ihr Kirche zu gestalten. Von aktiver Gestaltung und demokratischer Mitsprache ist da wenig zu lesen. Statt dessen: Kirche von oben, der nur noch wenig heilig ist, nicht einmal die Sonntagsgottesdienste.

Was ist heilig?

In der Schule fangen wir in der 3. Klasse den Unterricht jede Woche mit Fragen der Schüler an. Eine davon lautet oft: Was ist heilig?

Was ist dir heilig - frage ich dann zurück? Und die Antwort: meine Familie, mein Meerschweinchen, meine Freunde - heilig ist das, was mir wichtig ist - was mir besonders lieb und wertvoll ist.

Was ist uns heilig? Uns als Gemeinde - uns als Christen?

Was ist uns so lieb und wertvoll, dass wir es auf keinen Fall missen möchten?

Was zeichnet uns vor allen anderen als Christen aus?

Diese Frage stellen nicht nur wir uns und nicht nur heute - auch schon für Jesus ist sie virulent - und für die Menschen in seiner Umgebung.

Text lesen

Sogar schon damals. Der Heilige Sonntag. Der Sabbat. Der das eine äußere letztgültige und allgemein sichtbare Zeichen der Unterscheidung war - zwischen den Rechtgläubigen und den Heiden. Und ausgerechnet einer aus den eigenen Reihen stellt das in Frage.

Die Pharisäer können einem schon leid tun. Sie führen Jesus gegenüber eine Art Rückzugsgefecht. Seine Leitsätze stellen ihren Glauben, ihre Art zu leben, ihr Gottesbild permanent in Frage. Sie sind deutlich in der Defensive. Diesem Menschen scheint nichts heilig zu sein!

Und dabei klingt es doch so einleuchtend:

Wieso noch am klassischen Sonntagsgottesdienst festhalten, wo doch immer weniger Menschen in die Kirche gehen? Weg mit den parochialen Strukturen - hin zu virtuellen Angeboten. Passt auch viel besser zu Corona.

Weg mit dem klassischen Sonntagsgottesdienst - setzen wir ihn lieber „Relation zu den vielen gelingenden Alternativen gottesdienstlicher Feiern“ - und ersetzen wir ihn. Schaffen wir statt dessen lieber christliche Sozialisationsräume, die realitätsnah sind.

Schließlich ist doch der Sabbat um des Menschen willen gemacht - nicht umgekehrt. Also passen wir uns an. Nicht der Sonntag ist mehr heilig, nur noch die individualisierte Vielfalt unserer Lebensformen!

Oberflächlich betrachtet könnte man diese Leitsätze der EKD ganz den Worten Jesu entsprechend verstehen.

Und trotzdem glaube ich, dass sie das genaue Gegenteil davon sind - zumindest in dieser einen Frage.

Klar ist: der Sabbat, der Sonntag, der siebte Tag der Ruhe ist heilig. Nicht, weil es der Sonntag ist. Nicht um seiner selbst willen.

Sondern um des Menschen willen.

Aber nicht, um uns in unserem individualisierten Auseinanderfallen zu unterstützen - sondern um uns als Gemeinschaft Christi zusammenzurufen und zu vereinen.

Um uns als Geschöpfe Gottes wert zu schätzen, an denen Gott seinen Dienst verrichtet.

Biblisch gesehen ist der Sabbat, der Sonntag Erinnerung an den Gott, der uns geschaffen hat. Erinnerung an den Gott, der uns aus Zwängen und Strukturen von Unterdrückung befreit - und dem wir am Sonntag einen Freiraum in uns einräumen.

Und es ist eine Erinnerung des Auferstehungsmorgens am Sonntag nach der Kreuzigung.

Wäre der Sonntagsgottesdienst ein leerer Ritus, der um seiner selbst willen gefeiert wird - dann hätte die EKD Recht. Denn dann wäre der Sabbat nicht länger heilig, sondern schon tot - und wir würden nur noch auf seinem Grab tanzen.

Aber wir treffen uns hier und heute und an jedem Sonntag des Jahres nicht, weil Sonntag ist. Sondern weil wir den Tag des Herrn feiern - und feiern, dass wir zu ihm gehören - dass wir Glieder an seinem Leib sind - seine Geschöpfe sind. Und unser Leben jeden Tag bestimmt ist von der Hoffnung auf neues Leben, auf Auferstehung und Neuschöpfung.

Das ist unser Glaube - das ist Gottes Dienst - an uns.

Deswegen sind auch unsere Gottesdienste kein Angebotsdienst - sondern lebendiges Miteinander, das sich jeden Sonntag von neuem Gemeinschaft und Glauben schafft.

In dem wir in aller individualisierten Vielfalt aufeinander treffen - alt und jung, modern und traditionell - und uns gegenseitig mitteilen, erzählen, zuhören und zusprechen.

Als Gottesdienstgemeinde sind wir kein christlicher Sozialisationsraum, sondern von Gott geschaffene Räume, in denen sein Geist wirkt.

Als seine Gemeinde sind wir heilig - denn sein Tag heiligt uns

Das kann nicht einfach von oben wegbefohlen werden.

Nicht von der EKD.

Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht - und Jesus Christus ist Herr über Sabbat und den Menschen - auch die in der EKD.

Das ist der einzige Leitsatz, den die Kirche braucht.

Amen.