13.02.2022 - Septuagesimä

Predigt zu Jer 9, 22-23

 

 „Sei wie das Veilchen im Moose, bescheiden, sittsam und rein, und nicht wie die stolze Rose, die immer bewundert will sein.“

Vielleicht kennen Sie das ja - ein typischer Spruch fürs Poesiealbum - heute nennt man das Freundschaftsbuch.

Und solche Sprüche - in denen man aufgefordert wird, hübsch bescheiden zu sein, und nicht aufzumucken - die wurden immer am liebsten von den lautesten Schreihhälsen in der Klasse mit auf den Weg gegeben. Alle anderen waren zu bescheiden, um ungebeten gute Ratschläge zu verteilen.

 

Als ich älter wurde, kamen noch andere Verse dazu:

„Der Esel nennt sich selbst zuerst.“

„Eigenlob stinkt!“

„Taten sprechen mehr als Worte“ --- und so weiter.

 

Käme ich aus einem sehr frommen Elternhaus, dann hätte ich vielleicht auch diese Worte des Propheten Jeremia gehört:

So spricht der Herr: Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums. Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen,

dass er klug sei und mich kenne,

dass ich der Herr bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden;

denn solches gefällt mir, spricht der Herr.

 

Fürs Poesiealbum ein bisschen sperrig - für ein Leben in Bescheidenheit aber doch ganz eindrucksvoll formuliert.

 

Und vermutlich für die Menschen zu seiner Zeit genauso wenig attraktiver Lebensrat wie für uns heute. Denn wir wissen alle: Bescheidenheit ist zwar eine Zier - doch weiter kommen wir immer ohne ihr.

 

Unsere Kinder lernen doch von uns nicht mehr die Kunst, sich bescheiden zurückzunehmen - und sich gerade dadurch als ausgezeichneter Mensch zu erweisen.

Sondern wir müssen ihnen eigentlich sagen: Zeig, was du kannst. Schrei am lautesten, wenn du etwas willst. Fahr deine Ellenbogen aus und box dir deinen Weg frei. Sonst bringst du es zu nichts. Stell dein Licht nicht unter den Scheffel - sondern tue Gutes und rede darüber.

 

So läuft es doch in unserer Welt.

So verhalten sich alle Politiker, alle, die in der Öffentlichkeit stehen. Und sogar die Kirchen sind davor nicht gefeit. Jeder ist immer der Beste - der Einzige, der es wirklich weiß - der Erste, der es herausgefunden hat.

 

Wohin das führen kann, wird deutlich, wenn wir darauf schauen, was gerade passiert - in der Politik (innen und außen), in der Gesellschaft, in einzelnen Gruppen.

Die einen rühmen sich ihrer Solidarität für die Vielen - und verlieren dadurch den Einzelnen aus dem Blick.

Die anderen rühmen sich ihrer Moral - und verlieren dabei das Gefühl für die Freiheit aller.

Wieder andere gehen auf die Straße, rühmen sich ihres Widerstandes - und verlieren den Blick auf das Gemeinsame.

Wir halten uns selbst den Spiegel genau so vor, damit er uns das zeigt, was wir sehen wollen.

Jeder rühmt sich seines Eigenen - und am Ende bleibt nur das Eigene übrig.

 

Folgt man der modernen Prämisse, dann ist das unausweichlich.

Jeremia aber sieht das anders - und auch in der Lesung haben wir vorhin anderes gehört.

Ein solches Rühmen mag menschlich sein - aber es ist unserer nicht würdig.

Denn uns Christen sollten nicht wir den Spiegel vorhalten - sondern Jesus Christus.

Und der ist gekommen, die Sünder zu rufen - und nicht die Gerechten.

 

Wenn ich selbst meine Gerechtigkeit so hochhalte, dass sie über allem steht - wenn ich sie so laut betone, dass sonst nichts mehr zu hören ist - dann bleibe tatsächlich nur ich übrig. Dann ist in meinem Leben kein Platz für Gott, kein Platz für Christus.

Denn dann trage ich auch ihn nur vor mir her - ohne ihn wirklich anzusehen - und ohne im zuzuhören.

 

Wir rühmen uns unseres Eigenen - unserer eigenen Stärken und Ideen und Gerechtigkeit. Und verlieren dabei die Idee Gottes für uns aus dem Blick.

Die wird nämlich deutlich und greifbar in Jesus Christus - darin, wie er gelebt hat und gestorben ist.

Damit hält er uns nämlich seinen Spiegel vor - in dem wir sehen, wer wir sind.

Wir sind die, die Solidarität schreien - aber andere für ihren Lebensentwurf verurteilen.

Wir sind die, die immer alles gut meinen - aber bei anderen nur das Schlechteste vermuten.

Wir sind die, die immer alles richtig machen - und die Schuld immer nur auf andere schieben.

 

Wir sind die Sünder, die Jesus ruft. Aber alles was wir hören, ist das Rühmen unserer Gerechtigkeit.

Und alles, was wir sehen, ist das Licht auf unserem eigenen Scheffel.

 

Jesus aber zeigt uns nicht nur, wer wir sind - sondern auch, wie wir gemeint sind. Wie wir sein sollen:

Nicht als moralische Vorgabe. Nicht als Benimmregel.

Sondern als Beziehungsratgeber.

Wir sollen sein, wie Gott uns schuf: nämlich Menschen, die die Liebe vor alles andere stellen.

Als Gott die Welt schuf, hat er sich selbst aus Liebe zu uns zurückgenommen. Hat uns die Welt übergeben. Ist selbst kleiner geworden, damit wir wachsen können.

Als Gott Mensch wurde, hat er sich selbst aus Liebe zu uns verändert. Hat uns sich selbst übergeben. Ist selbst ohnmächtig geblieben, damit wir seine Macht erkennen.

Und hat uns mit Christus seinen Spiegel vorgehalten.

 

Dabei geht es nicht mehr um Moral oder Solidarität oder eigenes Gutsein und fremden Egoismus

Sondern darum, welche Beziehungen unser Leben gestalten sollen.

Die zu uns - oder die zu Gott.

Wir zeigen uns nur in uns selbst - aber Gott zeigt sich in allen, die uns begegnen.

 

Wollen wir uns also einer Sache rühmen - dann doch der, dass wir einander in die Augen schauen - und Gottes Liebe darin sehen.

Dass wir einander wahrnehmen - jeden Menschen als seiner Liebe wert - und damit auch unserer.

Dass wir einander annehmen - so wie Christus uns angenommen hat.

Barmherzig und ohne Vorurteile.

Als Sünder unter Sündern - die gemeinsam gerufen sind - klug zu sein und dem Herrn ein Wohlgefallen.

 

Amen.