Lätare - 27. März 2022

Predigt zu 2 Kor 1, 2-7

Es ist Mittwoch abend. Die Konfirmanden sind gegangen, die eigenen Kinder trudeln nach und zuhause ein. Wir essen zu Abend, dann abräumen, Abwasch, noch eine Waschmaschine - und ab auf den Sessel. Ein Glas Rotwein, ein Buch - entspannter Ausklang des Abends.

Für ungefähr 15 Minuten.

Dann klingelt das Telefon. Ein Kollege von der Notfallseelsorge aus Aschaffenburg. Ein Autounfall auf der A3, Abfahrt Rohrbrunn, eine Kollegin sei schon unterwegs, ob ich Zeit habe.

Ich ziehe mich an, sage den Kindern Bescheid, dass ich für die nächsten Stunden weg bin und fahre los. Unterwegs telefoniere ich mit der Kollegin: die Autobahn ist gesperrt, ich müsse irgendwie versuchen, an die Raststätte Spessart Süd zu kommen. Dort seien alle versammelt.

Der Tatbestand: ein Fußgänger sei über die Autobahn gelaufen, von einem Wagen erfasst worden. Der Fußgänger sei gestorben, die Autofahrer geschockt. Die Ehefrau des Toten sei auch schon vor Ort.

In der Raststätte dann sitze ich neben der Ehefrau. Was kann ich ihr sagen:

Gelobt sei Gott, der Gott allen Trostes, der uns tröstet in unserer Trübsal?

Sie flüchtet sich in hektische Aktivität, Telefonate mit der Familie, Rückfragen bei den Polizisten. Steht unter Schock.

Ich sitze dabei - und schweige. Höre ihr zu, bringe ihr eine Decke. Bestätige ihr, dass ihr Mann tatsächlich tot ist. Dann, irgendwann, schweigt auch sie. Wir schweigen gemeinsam.

Worte des Trostes kommen mir keine über die Lippen.

Spät in der Nacht fährt sie mit den Polizisten auf die Dienststelle - dort wird sie von Verwandten abgeholt. Ich fahre nach Hause.

Manchmal ist es ganz leicht, das Trösten. Mein Kind fällt hin, ich nehme es in den Arm: Es wird alles wieder gut. Und es wird wieder gut. Der Schmerz vergeht, die Schramme verheilt.

Manchmal fallen uns keine Worte ein - weil nichts, was wir sagen könnten, dem Schmerz auch nur annähernd nahe kommt. Manchmal sind wir hilflos, müssen selbst um Trost bitten, weil das Leiden der anderen uns trostlos macht.

Dann können wir nur dableiben. Den Schmerz aushalten - miteinander. Füreinander.

Weil wir die Kraft nicht aus uns selbst holen müssen - sondern sie von Christus bekommen.

Auf ganz unterschiedliche Weise - an unterschiedlichen Orten.

Im Gebet - wenn wir um Trost bitten für uns, für andere.

Durch Sonnenstrahlen nach einem langen trübsinnigen Winter - an einem Tag wie heute.

Durch die tröstende Umarmung eines anderen, in der ich die Nähe von Christus spüre.

Durch gemeinsames Lachen und Weinen - weil ich spüre, ich bin nicht allein. Ich teile Freude und Leid.

Manchmal ziehen wir uns zurück, wenn jemand leidet. Trauert. Weil wir nicht wissen, was wir sagen sollen. Weil wir Angst haben, nicht trösten zu können.

Angst haben, das Falsche zu sagen.

Nichts sagen zu können.

Die Ehefrau des Toten auf der Autobahn hat sich am Ende bei mir bedankt. Dafür, dass ich da war. Sie nicht alleine gelassen habe.

Ich dachte: Es war nicht genug.

Aber es war besser, als nicht da zu sein.

Diese Art von Hilflosigkeit kennen wir wahrscheinlich alle auf die eine oder andere Art. Im Moment habe ich aber das Gefühl, ein ganzes Land versinkt in seiner Hilflosigkeit.

An unseren Grenzen stehen -  wieder einmal - Hunderttausende Menschen, die ihre Existenz verloren haben, Menschen verloren haben, ein Leben zurückgelassen haben. Was sollen wir ihnen sagen?

Gelobt sei Gott, der Gott allen Trostes, der uns tröstet in unserer Trübsal?

Also flüchten wir uns in hektische Aktivität, tätige Unterstützung, Organisation.

Wir liefern Lebensmittel - aber Trost als Mittel zum Leben haben wir nicht zu bieten.

Uns fehlen die Worte.

Also betonen wir Symbole.

Sagen Kabarettsendungen ab - obwohl politische Kabarett genau der Ort wäre, das Unaussprechliche auszudrücken.

Sagen Trösterle nach Beerdigungen ab - obwohl genau sie der Ort sind, wo alle, die gemeinsam weinen, auch gemeinsam lachen können.

Halten Volksfest in diesen Zeiten für pietätlos - obwohl genau dort Lebensfreude die Todesangst besiegt.

All das ist Zeichen von Hilflosigkeit.

Wir drücken uns vor dem Da-sein.

Da sind wir nämlich nicht nur beim Austeilen von warmen Decken und heißer Suppe.

Da wären wir auch, wenn wir uns ganz und gar mitteilen. In allem, was uns angeht - auch im Lachen. Im Feiern. Im Fröhlich sein.

Der Sonntag heute hat einen Namen: Lätare! Freue dich! Sei fröhlich!

Mitten im Leiden. Gegen das Leiden.

Paulus zeigt diese Freude mit jedem Wort, das er schreibt. 10 mal in fünf Versen: der Trost. Trösten.

Er verschweigt nichts, keine Bedrängnis, keine Todesnot, kein Leid. Alles hat er schon erlebt - bei sich, bei anderen.

Aber Leid und Trost gehören bei ihm zusammen. Das eine gibt es nicht ohne das andere.

Niemand wird verschont - aber wir ertragen unser Leiden aus der Gewissheit heraus, dass nicht wir selbst uns trösten müssen. Sondern Christus der Tröster ist.

Jeder, der Trost schenken will, weiß: was ich geben kann, ist begrenzt. Ich komme, um zu helfen, um anzupacken, um Unterkünfte zu suchen und Nahrung zu geben. Um Hindernisse durch Bürokratie und Sprache wegzuräumen. Aber auf die Trauer der Menschen bin ich nicht vorbereitet. Die kann ich nicht wegräumen. Nicht immer. Und nicht alleine.

Nicht alleine mit meinen Worten.

Nicht alleine mit meinen Umarmungen.

Nicht alleine dadurch, dass ich da bin.

Aber bei jedem Wort, das ich sage - spricht Christus mit.

In jeder Umarmung, mit der ich tröste, liegt sein Trost.

Wo immer ich hinkomme, ist er schon lange vor mir da - und bleibt noch, wenn ich gehe.

Darüber freue ich mich. Ich kann und darf mich freuen - und soll diese Freude auch zeigen.

Ich darf lachen im Angesicht des Todes.

Ich darf feiern auch in der Trauer.

Ich kann leben, weil Christus uns das Leben bringt.

Amen.