02.01.2022 - Neujahrsgottesdienst

Predigt zu Jak 4, 13 - 15

 

Er ist holprig zu gehen, der Weg durch das alte Kreuzwertheim. Über den Kirchplatz, vorbei am Marktkreuz - runter zum Main, durch die Rathausgasse oder die Maingasse entlang.

 

Entweder laufe ich über das alte Kopfsteinpflaster. Damit laufe ich aber auch ständig in Gefahr, zu stolpern, umzuknicken, mit zu dünnen Absätzen in den Zwischenräumen stecken zu bleiben oder auf den schmierigen Steinen auszurutschen.

Oder ich nehme die Rolatorspur. Da verringert sich die Gefahr aufs Ausrutschen - immerhin.

Insgesamt aber sind die Wege dort nichts für jemanden, der nicht immer mal wieder beim Gehen  nicht nur nach vorne sieht, auf das Ziel - sondern auch nach unten, auf den Weg.

 

Kein Wunder also, dass das alte Sprichwort zum Jahresbeginn lautet: Der Weg in die Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Denn wenn ich ihnen folge, dann schaue ich vielleicht beim Gang durch das neue Jahr auf mein selbst gestecktes Ziel - aber nur allzu leicht verliere ich dann den Weg aus den Augen.

 

Da wünsche ich mir manchmal, der Weg wäre einfacher zu gehen. Der durch den Ort - und der durch mein Leben. Und ich wünsche mich in eine Zeit, in der das Wünschen noch geholfen hat - dass die Vorsätze in Erfüllung gehen.

 

Vermutlich haben auch Sie wieder viele gute Vorsätze gefasst für dieses Jahr?

Nie wieder so viel auf einmal essen - schon gar nichts Süßes.

Mehr Sport treiben - jeden Tag mindestens eine Stunde spazieren gehen.

Das sind die kleinen Vorsätze - mit überschaubarem Ziel. An jedem Tag neu anzustreben, aber auch zu erreichen.

Dann gibt es aber auch die anderen Vorsätze:

Nicht so viel arbeiten, sondern mehr Zeit mit der Familie verbringen.

Sich mehr Zeit füreinander nehmen - mehr miteinander unternehmen.

Nicht immer den bequemen Weg gehen - sondern den richtigen. Auch wenn er steinig und unbequem sein kann. Damit ich nicht ins Schlittern komme.

Nicht immer ja zu allem sagen - sondern selbstbewusst auch mal für mich sorgen.

Nicht immer der Masse hinterher laufen - sondern sich eine eigene Meinung bilden.

Das sind die großen Vorsätze - bei denen das Ziel irgendwo am Ende eines Weges liegt, den ich noch gar nicht überschaue. Auf dem ich viele kleine Schritte gehen muss - und der unendlich viele Stolpermöglichkeiten und Stöckelfallen für mich bereit hält.

Wo es deshalb wichtiger sein kann, auf den direkten Weg zu schauen, damit ich nicht falle - und ich dann manchmal das Ziel aus den Augen verliere.

 

Und dann, nach 365 Tagen, nach einem weiteren Jahr - stehe ich an der Schwelle zu einem neuen Anfang - und stelle fest, dass ich nicht einmal einen Bruchteil dessen geschafft habe, was ich mir eigentlich vorgenommen hatte.

Ich habe versagt, bin ich gescheitert. Bin tausendmal hingefallen, habe den Abzweig verpasst, gestolpert und doch weitergegangen - und habe doch mein Ziel nicht erreicht.

Was dann bleibt, ist der schale Geschmack der persönlichen Niederlage, der Vergeblichkeit.

Und doch stehe ich dann wieder an der Schwelle eines neuen Jahres - und beginne erneut, meinen Weg mit Vorsätzen zu pflastern - von denen ich bereits jetzt dunkel ahne, dass sie mich nicht an mein Ziel führen.

 

Ich zumindest kenne das Gefühl - und ich nehme mal an, ich bin damit nicht alleine.

Da könnte man schon manchmal den Mut verlieren. Glauben, dass ohnehin alles keinen Sinn hat. Dass sich nie etwas ändern wird. Aber mutig hoffe ich jedes Jahr gegen den Anschein an.

 

Doch wenn dann noch die äußeren Umstände meine Weg eingrenzen oder gar komplett bestimmen, wenn eine Pandemie mit ihren Ausnahmeregeln zur neuen Normalität wird - dann kann es passieren, dass ich vor Angst gar nicht mehr wage, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Dass ich mich zuhause verkrieche - und es mit dem Planen und Leben gleich sein lasse. Weil es ja doch nichts bringt. Weil sich nie etwas ändert. Weil auch die Hoffnung zu nichts führt, außer zu noch mehr Enttäuschungen.

 

Ich denke, solche Empfindungen sind nicht neu und schon gar keine Erfindungen unserer Zeit. Es gibt sie immer wieder, aus ganz verschiedenen Gründen. Wegen einer Pandemie, einer persönlichen Krankheit, eines ewig schwelenden Streites.

Verfahrenen Situationen, verschlungene Wege - die dazu führen, dass wir uns im Kreis drehen, keinen Ausweg mehr sehen, mutlos durchs Leben stolpern und schließlich nicht mehr aufstehen, wenn wir am Boden liegen.

 

Vielleicht es sogar so eine Erfahrung, die Jakobus seine Worte schreiben lässt:

Und nun ihr, die ihr sagt: „Heute oder morgen wollen wir in die oder die Stadt gehen und wollen ein Jahr dort zubringen und Handel treiben und Gewinn machen…“ - und wisst nicht, was morgen sein wird.

Ihr, die ihr auf morgen hofft. Die an eine Zukunft glauben - ihr wisst aber nicht, was passieren wird. Ihr könnt hoffen - aber nicht sicher sein.

Eine lebenserfahrene Mahnung - nicht gegen die Hoffnung. Sondern gegen die Enttäuschung, gegen die Mutlosigkeit.

Denn gerade weil ich weiß, dass nicht immer alles so geht, wie ich es mir wünsche, kann ich mich darauf einstellen. Kann Pläne entwickeln, wie ich mit Misserfolgen umgehe.

 

Was ist euer Leben? Ein Rauch seid ihr, der eine kleine Zeit bleibt und dann verschwindet.

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht sehr tröstlich klingt: nichts von dem, was mein Leben ausmacht, bleibt ewig. Nicht das Gute - aber eben auch nicht das Schlechte. Nichts in meinem Leben hat Bestand - auch ich nicht. Alles ist vergänglich, alles wandelt sich, unterliegt der Veränderung.

Gerade deswegen habe ich immer wieder Grund, zu hoffen - denn nichts bleibt so holprig, wie es ist. Und gerade deswegen kann ich immer wieder weiterlaufen - denn es nützt nichts, auf der Stelle zu verharren. Auch den schönsten Moment kann ich nicht festhalten.

 

Bei allem, was mir im Leben begegnet, bei allem steinigen Untergrund oder glatten Bahnen, kann ich nur eines festhalten: Wenn der Herr will, werden wir leben und dies oder das tun.

An mit hängt gar nichts - an ihm hängt alles.

 

Das ist keine sehr angenehme Erkenntnis - zumindest nicht für uns moderne Menschen. Wir sind so daran gewöhnt, für alles selbst verantwortlich, an allem selbst schuld und so sehr Schmied unseres eigenen Glückes zu sein, dass uns das Gefühl und die Anerkennung unserer Grenzen nach und nach verloren geht. Wir glauben, alles fertig bringen zu können - und sind mit jedem Mal hilfloser, wenn sich uns wieder ein Stolperstein in den Weg legt.

 

Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg; aber der Herr allein lenkt seinen Schritt.

Nur beides zusammen führt zum Ziel. Erdenken wir uns keinen Weg - dann führt unser Schritt nirgendwo hin, denn wir gehen gar nicht erst los. Versuchen wir aber, unseren Weg allein zu lenken, dann wird jeder Gang darauf zum unwägbaren Abenteuer mit ungewissem Ausgang.

 

Das Problem dabei ist, dass wir das Ziel auch dann nicht kennen, wenn Gott unseren Schritt lenkt. Wir wissen nicht, wo wir herauskommen, wenn wir losgehen - weil wir ja gerade nicht die sind, die auch bestimmen, wo wir ankommen. Wir  wissen, dass nichts von dem, was wir uns denken, auch tatsächlich eintreten muss.

Und unbekannte Ziele machen uns manchmal Angst.

 

Vielleicht ist es deswegen auch manchmal besser, sich nicht so sehr auf das Ziel festzulegen - sondern eher den Weg im Auge zu behalten. Uns im Gehen bewusst zu sein, dass Gott unsere Schritte lenkt.  Und zu sehen, dass da viel von dem ist, was ich mir wünsche -

 

Die Unermüdlichkeit der Drossel, da es

dunkelt, den Gesang zu erneuern.

Den Mut des Grases, nach so viel

Winter zu grünen.

Die Geduld der Spinne, die ihrer Netze

Zerstörung nicht zählt. (…)

Die Härte des Eises, das der Kälte

trotzt, doch schmilzt im Märzlicht der Liebe.

Die Glut des Holzes, wenn es verbrennt.

Die Armut des Winds.

Die Reinheit der Asche, die bleibt.

 

So ist das in einem Gedicht von Rudolf Wiemer. Da hilft das Wünschen.

Und ich vertraue fest, dass auch wir in einer Zeit leben, in der das Wünschen noch hilft.

Denn es ist uns versprochen, dass es der Herr ist, der unsere Schritte lenkt.

Dass er es ist, der uns in Bewegung setzt oder uns verharren lässt.

Dabei lenkt er uns ganz sicher nicht immer in die Richtung, in die wir wollen - oder an die wir auch nur gedacht haben.

Aber wir können hoffen, dass es immer das Ziel sein wird, an dem er auf uns wartet.

Und wir uns kein besseres Ziel wünschen könnten.

 

Amen.